Vom Sanatorium zur Finanzakademie
Einst war Schloss Rheinblick ein Genesungsheim. Heute nutzt es die Verwaltung des Landes NRW zur Fortbildung
(1. September 2025, General-Anzeiger)
Von Ali Kanaan
Bad Godesberg. Wer heute durch die Fenster von Schloss Rheinblick blickt, sieht Seminarräume, Projektoren und Tische voller Unterlagen. In dem markanten Bau oberhalb von Schweinheim werden Finanzbeamtinnen und -beamte des Landes NRW geschult. Noch vor wenigen Jahrzehnten erfüllte das Haus jedoch eine ganz andere Aufgabe: Als Sanatorium für nervöse Leiden, Schlafstörungen und Entwöhnungskuren prägte es die Kurgeschichte Bad Godesbergs – und galt unter Leitung von Dr. Franz Mueller-Roland als eine der renommierten Adressen der Region.
Eine wahrhaft historische Gründung
Errichtet wurde Schloss Rheinblick zwischen 1905 und 1907 durch den Godesberger Bauunternehmer Theodor Wilhelm Düren. Auftraggeber war Dr. Franz Hübert Mueller-Roland, ein Arzt, der sich zuvor bereits mit einer Kuranstalt in der Rheinallee einen Namen gemacht hatte. Mueller-Roland war nicht nur Mediziner, sondern auch Kommunalpolitiker und Mitgründer des Godesberger Verkehrsvereins.
„Das neue Sanatorium richtete sich vor allem an wohlhabende Patientinnen und Patienten“, erklärt Bernd Birkholz, Zweiter Vorsitzender des Vereins für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg. Behandelt wurden dort vor allem Nervenleiden, Schlafstörungen und Herzkrankheiten. „Einen besonderen Schwerpunkt bildeten zudem Entwöhnungskuren von Alkohol, Morphium, Kokain und anderen Substanzen”, erzählt Birkholz. Themen, die in der wachsenden Großstadtgesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts stark an Bedeutung gewannen. Der Bau mit seiner schlossartigen Architektur und der Lage über dem Rheintal sollte Heilung und Komfort verbinden und machte das Haus bald über die Region hinaus bekannt.
Um die Jahrhundertwende entwickelte sich Godesberg zu einem viel gefragten Kurort. Neben Schloss Rheinblick entstanden weitere Einrichtungen wie das Sanatorium Godeshöhe oder das evangelische Godesheim. Vor allem die Behandlung von „Nervenleiden“ lag im Trend und verschaffte der Stadt den Ruf einer Kurstadt für nervenkranke Patienten im Rheinland.
„Schloss Rheinblick war einer der wichtigen Player unter den damals fünf oder sechs Sanatorien in Godesberg“, sagt Birkholz. „Die Stadt wollte sich damals mit großen Bädern wie Wiesbaden oder Spa in Belgien messen und entwickelte sich zu einem echten Kurort.“
Die Klientel bestand überwiegend aus wohlhabenden Städtern, die Erholung in landschaftlich reizvoller Umgebung suchten. Sie kamen aus Köln, Bonn oder dem Ruhrgebiet. Für Godesberg bedeutete dieser Zustrom nicht nur Prestige, sondern auch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der von Mueller-Roland mitbegründete Verkehrsverein sorgte dafür, dass die Stadt als Kur- und Erholungsort überregional beworben wurde und so in der Region eine neue Anziehungskraft gewann. Zahlreiche Details zur Baugeschichte und Nutzung finden sich in den Unterlagen des Heimatvereins, der auch historische Fotos zur Verfügung gestellt hat.
Ein Verkauf, der sich finanziell lohnte
1927 verkaufte Mueller-Roland sein Sanatorium für 280.000 Mark – rund 1,2 Millionen Euro nach heutiger Kaufkraft – an den Verband rheinischer Krankenkassen in Düsseldorf. Aus der exklusiven Privatklinik wurde ein Erholungsheim für Versicherte. Bei der Einweihung hoben Vertreter von Gemeinde und Verband hervor, dass nun auch breite Bevölkerungsschichten Zugang zu Erholung und Genesung erhalten sollten.
Das Haus bot Platz für 60 Betten, bekam moderne sanitäre Anlagen, eine neue Terrasse und einen vergrößerten Speisesaal. Noch im selben Jahr verstarb Mueller-Roland – sein Tod markierte das Ende der privaten Ära von Schloss Rheinblick, das fortan im Dienst der öffentlichen Gesundheitsversorgung stand.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Schloss Rheinblick zum Lazarett umfunktioniert. Trotz Kennzeichnung mit dem Roten Kreuz blieb das Haus von den Zerstörungen nicht verschont, bei Angriffen kamen zahlreiche Soldaten und Zivilisten ums Leben. Nach Kriegsende nutzte man das Gebäude zunächst weiter als Krankenhaus. Bis 1956 diente es als Allgemeines Krankenhaus für Bad Godesberg, anschließend noch einmal als Erholungsheim. Mit dem Wandel im Gesundheitswesen und dem Rückgang klassischer Kuren verlor das Haus jedoch an Bedeutung, bevor es in den 1960er-Jahren schließlich für eine neue Nutzung frei wurde. Am 5. Mai 1970 begann für Schloss Rheinblick ein völlig neues Kapitel. Seit diesem Tag dient der Bau als Fortbildungsakademie der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung. Hier werden seither Seminare und Lehrgänge für Beschäftigte des gehobenen Dienstes abgehalten, regelmäßig reisen Teilnehmende aus ganz NRW an.
2018 kam eine weitere Aufgabe hinzu: Schloss Rheinblick wurde auch Standort der Landesfinanzschule Wuppertal, die dort den praktischen Teil der dualen Ausbildung von Finanzwirten durchführt. Damit ist das Haus heute nicht mehr Ort der Erholung, sondern Ort des Lernens – ein Ausbildungszentrum mit überregionaler Bedeutung. „Die Lage mit Blick auf das Siebengebirge ist nach wie vor einzigartig“, sagt Birkholz. Zwar sei der Turm nicht mehr vollständig erhalten, doch der Kern des Baus stehe noch immer. „Man erkennt sofort, dass es ein Schloss war – auch wenn es heute eher eine dekorative Funktion erfüllt.“