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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Das vergessene Puppenhaus

Bonner Geheimnisse – In der Villa Genienau befand sich einst eine besondere Manufaktur. Iris Henseler-Unger erzählt davon

(9. Dezember 2024, General-Anzeiger)

Von Verena Düren

BONN. | Iris Henseler-Unger holt aus ihrer Tasche eine ganze Handvoll kleiner, fast schon winziger Püppchen – so um die zehn Zentimeter groß. „Ich habe sie tatsächlich bei mir zu Hause noch gefunden“, so die Vorsitzende des Vereins für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg. Ganz im Bonner Süden, fast schon an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz, befindet sich die Villa Genienau, die in der Vergangenheit nicht etwa nur Fabrikanten-Villa war, sondern tatsächlich eine Puppenmanufaktur mit über 80 Angestellten beherbergte.

Gebaut wurde die Villa am Mehlemer Rheinufer 1904/1905 für den Geologen Paul Grosser (1864-1911) und ist vermutlich nach seiner Frau Eugenie benannt worden. Doch die wunderschöne klassizistische Villa, die bis heute in einem großen Park liegt, der bis zum Rhein geht, brachte dem Ehepaar kein Glück: Eugenie und Paul Grosser begingen im Herbst 1911, also nur wenige Jahre nach dem Einzug in die für sie erbaute Villa, kurz hintereinander Suizid. Da das Paar kinderlos geblieben war, wurde die Villa versteigert und gelangte 1913 in den Besitz der Familie Böcking, wo sie mindestens bis 1938 auch verblieb, spätestens ab 1945 stand die Villa jedoch leer.

1948 wurde sie schließlich Standort der Westdeutschen Puppen- und Steingutfabrik und wurde vermietet an den 1901 geborenen Erich Dittmann, der dort in 34 Räumen die Manufaktur der nach ihm benannten „EDI-Puppen“ aufzog. „Von außen betrachtet verwunderte dieser Schritt tatsächlich“, so Henseler-Unger. „Denn Dittmann war erst 1945 nach Bonn gekommen, wo er 1947 einen Großhandel in Papier-, Spiel- und Korbwaren eröffnete. Er hatte also so gesehen keine Erfahrung in der Herstellung von Puppen.“ Erich Dittmann war in seiner Rolle als Puppenhersteller quasi nur ein Strohmann. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1947, wo er Spielwaren für seinen Handel einkaufen wollte, begegnete er dem damals ältesten Puppenfabrikanten Deutschlands, August Riedeler. Riedelers Puppenfabrik, in der er Kleinpuppen herstellte, die unter dem Namen „ARI-Puppen“ bekannt geworden waren, hatte ihren Sitz in Königssee im Thüringer Wald. Riedeler, der Angst vor einer möglichen Enteignung im Osten hatte, wollte sich eine zweite Fabrik im Westen aufbauen und wählte als seinen Mittelsmann Erich Dittmann aus.

Doch Dittmann war kein Puppenhersteller! So schickte Riedeler Oskar Oelzner (1914-2006), der bei ihm in Königssee gearbeitet und dort schon die ARI-Puppen etabliert hatte, als einzigen wirklichen Puppenfachmann an den Rhein. Im Laufe der weltpolitischen Entwicklung und der zunehmenden Abnabelung der sowjetischen Besatzungszone vom Rest Deutschlands wurde die Zusammenarbeit zwischen Riedeler im Osten und Dittmann im Westen immer schwerer. So wurde Dittmann (zwangsläufig) zum eigenständigen Unternehmer, denn von der Familie Riedeler erklärte sich niemand bereit, das Standbein im Westen zu übernehmen.

In einer Mischung aus Fabrik- und Heimarbeit entstanden die Einzelteile der Puppen, die in Formen gepresst und gebrannt wurden, mit Gummizügen wurden die beweglichen Arme und Beine am Rumpf befestigt. Die EDI-Puppen, die man an der Prägung im Nacken erkennen kann, gab es schließlich in sechs verschiedenen Größen – von vier Zentimetern bis hin zu 37 Zentimetern. Der Erfolg der Puppen war enorm: Sie wurden weltweit vertrieben und ihr Bekanntheitsgrad reichte sogar bis nach Japan.

Schon früh zeigte sich, dass Dittmann vielleicht nicht der geborene und risikobewusste Unternehmer war, der er hätte sein sollen. Bereits 1949 konnte er seine Arbeiter nicht mehr bezahlen. 1960 verspekulierte er sich ganz gewaltig und führte die Firma am Ende in den Ruin: Bereits im August 1960 musste Dittmann Konkurs anmelden und nur zwei Monate später wurden auch die Grundstücke in Mehlem zwangsversteigert, die Firma rückwirkend für September 1960 abgemeldet. Das Areal wurde zunächst an den Bund verkauft, der dort ein Gerätelager des Technischen Hilfswerks einrichtete. 1997 gelang der Verkauf der Villa in Privatbesitz und wurde liebevoll restauriert – dabei fand man überall im Garten Teile von EDI-Puppen.

Diese Story stammt aus dem Buch „Bonner Geheimnisse“. Bis zum 24. Dezember öffnet der GA täglich (außer sonntags) ein Kalendertürchen, hinter dem sich eine Geschichte verbirgt. Das Buch ist in Kooperation zwischen dem General-Anzeiger und dem Bast Medien Verlag erschienen, kostet 24 Euro, hat 192 Seiten und ist bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag unter bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei).

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