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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

„Am liebsten mag ich den tollen Pavillon“

Fotoausstellung erinnert an den für viele schmerzlichen Verlust der Godesberger Altstadt. Denkmalpfleger hält dagegen

(8. Oktober 2024, General-Anzeiger)

Die historischen Fotos des 2023 verstorbenen Friedhelm Schulz zeigen im Haus an der Redoute noch bis zumOktober das Vorher und Nachher der Godesberger Altstadtsanierung ab den 1960er Jahren. Im Begleitprogramm erklärt am Mittwoch, 9. Oktober, der LVR-Experte Martin Bredenbeck den damaligen Handlungsdruck und den Wert der Neubauten. GA-Mitarbeiterin Ebba Hagenberg-Miliu hat ihn zuvor befragt.

Hat nicht gerade die Denkmalpflege Verständnis für die bei Godesbergern beliebte Erzählung, man habe ihnen die schöne Altstadt ab den 1960er Jahren sträflich genommen?

Martin Bredenbeck: Wir Denkmalpfleger müssen mit dem Verschwinden historischer Bauten professionell umgehen und keine emotionalen Verlusterzählungen kultivieren. Wir müssen wissenschaftlich Veränderungen erkennen, beschreiben und bewerten – und dabei den handelnden Personen zugutehalten, dass sie sozusagen keine bösen Absichten hatten.

Warum musste die Stadt denn in den 1960er Jahren handeln?

Bredenbeck: Sie hatte handfeste Probleme zu lösen: Bevölkerungswachstum, steigenden Verkehr, zu enge Straßen und teilweise seit Jahrzehnten unrenovierte Altbausubstanz. Dass man das gezielt und großzügig angehen wollte, muss man den Akteuren positiv anrechnen. Sie wollten Bad Godesberg ganz sicher nicht hässlich machen. Der Status von Bonn als Hauptstadt führte zum Einwohneranstieg und natürlich auch zu gigantischen Verkehrsströmen. Das war mit der historischen Stadtstruktur und Bausubstanz aus damaliger Sicht nicht zu machen. Und natürlich wollte man auch bewusst und gezielt modern werden, international, mit Fußgängerzone, Kaufhaus und Durchgangsstraße.

Warum wurde aber nicht wirklich saniert, sondern, wie böse Zungen behaupten, abrasiert?

Bredenbeck: In den 1960er Jahren ging man häufig so vor, dass man die gesamte vorhandene Bausubstanz aufgab und die städtebaulichen Strukturen völlig neu gestaltete. Wenn man das „Abrasieren“ nennt, liegt darin schon eine Wertung. Gerade im Freiräumen und Neugestalten großer Flächen hat man damals eine Chance gesehen. Auf Mini-Parzellen und mit komplizierten Eigentumsverhältnissen bei Grund und Boden lassen sich kaum große Projekte realisieren.

Heute wäre man anders vorgegangen?

Bredenbeck: Wenn heute eine städtebauliche Maßnahme wie eine Sanierung eines Stadtquartiers oder eines Dorfkerns durchgeführt wird, geht man natürlich anders vor. Denn seit den späten 1960er Jahren und dann ganz besonders in den 1970er Jahren haben sich die Ideale und Leitbilder komplett verändert.

Wie meinen Sie das?

Bredenbeck: Bis etwa in die Mitte der 1960er Jahre ist in Deutschland im Städtebau noch das Leitbild von „Fortschritt durch Erneuerung“ vorherrschend. Historische Strukturen und Bausubstanz werden oft eher als Hindernis bewertet, sie stehen sozusagen im Weg. In dieser Haltung wird noch das damalige Empfinden von Wachstum, Steigerung, Verbesserung, Loslösen von der Geschichte greifbar. Diese Einstellung ändert sich ab Ende der 1960er Jahre schrittweise. Den Menschen wird bewusst, dass Wachstums begrenzt und dass Ressourcen endlich sind, dass Erneuerung zum Identitätsverlust führen kann. In dieser gesellschaftlichen Stimmung werden die historischen Gebäude und Stadtstrukturen wieder als positive Werte entdeckt: Historische Fachwerkhäuser kann man toll renovieren und moderne Bäder und Küchen einbauen. „Altbau“ wird ein positiver Begriff. Und genau als dieser Stimmungswandel vor sich geht, ist in Godesberg die Altstadtsanierung als Flächensanierung mit Abrissen und Neubauten am Laufen – einfach, weil die Dinge eben schon beschlossen und beauftragt sind. Die Baupolitik hatte einfach schon Fakten geschaffen, die vom gesellschaftlichen Wandel überholt wurden.

Welche architektonischen Schandflecke hat das Mammutprojekt aus Sicht der Denkmalpflege vor Ort ergeben?

Bredenbeck: Die Altstadtsanierung Bad Godesberg hat, so würde ich es mal neutraler sagen, Objekte von sehr unterschiedlicher Qualität hervorgebracht. Der alte Hertie-Bau, also die heutige Fronhofer Galeria, ist schon ziemlich groß geraten und architektonisch nicht besonders einfallsreich. Was dieser etwas „klotzartige“ Bau macht, ist aber genau das, was von solchen Kaufhäusern in den 1960ern erwartet wurde: Sie sollten eine in sich geschlossene Welt des Konsums sein, wo alles möglich erschien.

Wie beurteilen Sie die City-Terrassen, also das 1980 fertiggestellte Altstadtcenter?

Bredenbeck: Für die Geschichte der Altstadtsanierung ist dieser vom weltberühmten Architekten Gottfried Böhm geplante große Wohn- und Geschäftskomplex sehr spannend. Denn hier kann man genau sehen, wie sich ab den 1970er Jahren die Leitbilder geändert haben. Kein „Hertie-Kubus“ mehr, sondern eben etwas, was sich auf den Maßstab des Ortes bezieht, kleinteilig und abwechslungsreich ist, menschlich besser erfassbar erscheint. Mit den jüngsten Modernisierungen hat man, glaube ich, ganz gut versucht, diesen Bau, von dem uns nun auch schon über 40 Jahre trennen, in die Gegenwart zu holen. Dieser Ansatz sollte ruhig weiterverfolgt werden.

Sie haben dafür gesorgt, dass das Aennchencenter sogar als Baudenkmal eingetragen ist?

Bredenbeck: Genau. Unsere Begutachtung hat ergeben, dass dieses Center für das Verständnis der Altstadtsanierung sehr wichtig ist, weil es genau die Übergangszeit von der Flächensanierung zur angepassten Sanierung markiert. Zwar wurde hier auch die gesamte vorhandene Substanz abgerissen, aber an ihrer Stelle eine Reihe von Giebelhäusern errichtet, die sogar historische Fassadentechniken zitieren. Fassaden teilweise mit farbigen Kunststoffelementen gibt es in Bonn sonst nicht: ein wichtiges Werk des Bonner Architekten Dirk Denninger. So hat man eine moderne neue Altstadt geschaffen. Und die Straßenverbreiterung an dieser Stelle war eben auch eine Verbesserung der Situation.

Was lässt sich aus den Erfahrungen der vergangenen 60 Jahre für die Stadtplanung vor Ort lernen?

Bredenbeck: Da verlassen wir natürlich jetzt das Feld der Denkmalpflege. Aber ich denke, man darf sagen, dass sich das Rezept bewährt hat, bei der Stadtplanung vom Bestand auszugehen. Das gilt heutzutage ganz besonders auch aus ökologischer Sicht, denn Ressourcen zu verschwenden, können wir uns eigentlich nicht mehr leisten.

Und welche Ecke in der Godesberger City ist Ihnen persönlich die liebste?

Bredenbeck: Am allerliebsten mag ich den tollen Pavillon des Stadtmarketings vor dem Godesberger Bahnhof, der so wunderbar über dem Wasser schwebt, und dann den modernen Trinkpavillon im Park. Zwei herrliche Bauten.

Zur Person und Termine – Zwei Perspektiven auf die Umbaugeschichte

Zur Person:Martin Bredenbeck, Jahrgang 1977, promovierte an der Universität Bonn in Kunstgeschichte. Nach Lehraufträgen auch an der Hochschule Rhein-Main über Denkmalpflege, Baukultur und Architektur im 19. bis 21. Jahrhundert und der Geschäftsführung des Rheinischen Amts für Denkmalpflege ist er heute wissenschaftlicher Referent im LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland in Pulheim.

Termine: Die Ausstellung „Hommage an Friedhelm Schulz“ mit der Dokumentation zur Altstadtsanierung Godesbergs ist noch bis zum 20. Oktober im Haus an der Redoute, Kurfürstenallee, mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Im ebenfalls kostenfreien Begleitprogramm spricht Martin Bredenbeck am 9. Oktober ab 17 Uhr zu „Ein Zeitalter wird besichtigt – die 1960er bis 1990er Jahre in Bad Godesberg im Blickpunkt von Architekturgeschichte und Denkmalpflege“. Am 19. Oktober lädt der Godesberger Heimatverein ab 16 Uhr zur abschließenden Gesprächsrunde mit Bredenbeck, Alexander Kleinschrodt, Dorothea Hölzer-Magar, Fritz Dreesen, Michael Dannbeck und Wilfried Rometsch. ham

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