Streifzug durch Tunnel und Gärten
Der Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg hat einen Rundgang durch Mehlem angeboten
(10. August 2024, General-Anzeiger)
VON SELINA STIEGLER
MEHLEM. | Eine 82-Jährige, die über einen Zaun klettert, ein Mord an einem Unschuldigen und ein Tunnel entlang eines Bach – ein ganz normaler Rundgang durch Mehlem. Aber alles von Anfang an: Fast 40 Personen sammeln abends vor der großen Pfarrkirche St. Severin an der Mainzer Straße. Organisator ist der Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg. Ohne großes Zögern taucht Stadtführerin Irmtraud Blask direkt in die Geschichte ein.
St. Severin ist erst im 19. Jahrhundert erbaut worden. Sie ist der Ersatz einer Kirche, die am Fastnachtssonntag 1860 einem Blitzschlag zum Opfer fiel. Der Bau ist ein typisches Werk des Historismus, da verschiedene Epochen baulich vermischt wurden. Nach einem kurzen Blick aufs Gotteshaus geht es an der Siegfriedstraße entlang. Ziel ist der Drachensteinpark.
Im Park zeigt Blask auf das prächtige Haus am Kopf des Parks. „Das ist die Villa Schnitzler.“ Der Kölner Justizrat Victor Schnitzler kam 1889 in den Besitz des damals genannten „Haus Drachenstein“. Der öffentliche Park war Schnitzlers Privateigentum und reicht noch heute bis zum Rheinufer. Blask spricht die ionischen Säulenfragmente auf der Nordseite des Parks an. Das interessiert auch Gregor Schorn vom Heimatverein Mehlem aus der Runde. Er kennt als geborener Mehlemer viele Details, wie er demonstriert: „Die Säulen gehörten Schnitzler und kommen ursprünglich aus Ägypten.“
Auf zur Mainzer Straße und zur Villa Camphausen. Sie wurde 1884 für den Kölner Bankier Arthur Camphausen errichtet. Er nannte sie „Villa Bella Vista“ aufgrund des Blicks auf den Drachenfels. Jetzt dient sie als Seniorenheim. Der Rundgang führt durch das Gebäude in den Garten. Von dort soll es wieder auf die Mainzer Straße gehen – doch die Gartentür ist verschlossen. Kein Problem für die Stadtführerin: Sie klettert über die Gartentür hinüber und eilt zum Haupteingang. Nur wenige Minuten später kommt sie mit einem Mitarbeiter und Schlüssel zurück. Alle werden befreit. „Ich bin zwar schon 82-Jahre alt, aber gehe jeden Tag ins Fitnessstudio“, sagt Blask und strahlt.
Am Ende des Schützengrabens ist Zeit für eine Sage. „Nach einer Übermittlung gab es einmal einen Weinberg, und der gehörte einem Mann namens Heinrich“, beginnt Blask. Heinrich wurde beschuldigt, seine Verlobte Kunigunde ermordet zu haben und wurde auf dem Mehlemer Rodderberg gehängt. Es war ein Mord an einem Unschuldigen, wie sich herausstellte. Kunigunde lebte. Noch heute werden am Fastnachtsdienstag um 12 Uhr die Glocken für ihn gebeiert. Schorn ergänzt: „Es gibt mehrere Versionen von der Geschichte.“ Eines steht in jeder Variante: Alle glauben, Kunigunde ist tot und Heinrich der Mörder. Bekannt ist dazu der Heinrichsblick, der Hinrichtungsplatz. Heute eine Stelle auf dem Rodderberg mit bester Sicht auf Bonn und das Siebengebirge.
Schorn, der selbst Rundgänge organisiert, mischt sich immer wieder mit ein, und Blask bezieht ihn auch ein. „Es stört mich nicht, korrigiert zu werden“, sagt sie. Doch manche stört es doch ein wenig. Eine Teilnehmerin murmelt „jetzt lass doch mal die Frau ihre Arbeit machen“, als Schorn an der kleinen Oberdorfer Kapelle zu den Sieben Schmerzen Mariens erneut das Wort ergreift. Antje Scheibe findet das aber gut: „Ich mag es, wenn Personen aus der Gruppe informieren.“ Sie ist extra aus Endenich hergekommen. „Ich habe dieses wöchentliche Angebot irgendwann entdeckt, und seitdem mache ich gern mit“, sagt sie.
Auf dem Weg zum Domhof wird es abenteuerlich: Es geht durch einen Tunnel entlang des Bachs. „Hier nimmt man Wege in seiner Heimat, die man sonst nie gehen würde“, sagt eine Frau. Der Domhof wurde nach dem Zweiten Weltkrieg lange als Reitbetrieb genutzt. „Ich erinnere mich noch gut, wie ich hier auf meinem Pferd saß“, sagt Blask. Eine Frau streckt ihren Kopf aus dem Fenster und ruft „Oh, wie schön, etwas über sein Zuhause zu lernen.“
Nach zwei Stunden kommt die Gruppe zur Villa Friede. Hier geht es um das Leben von Viktoria von Preußen. Sie lebte in einem der Zimmer, verfasste ihre Memoiren und starb 1929. Blask ist froh über so viele Teilnehmer. Schorn: „Ich hätte gerne noch einen Stopp bei der Synagoge gemacht, die 1938 abgerissen wurde, und über den ermordeten jüdischen Metzger Josef Levy gesprochen“, sagt er. Es wird wohl nicht der letzte Streifzug durch Mehlem gewesen sein.
ORTE KENNENLERNEN – Hier finden die nächsten Rundgänge statt
Es gibt noch einige Rundgänge durch Ortsteile von Bad Godesberg. Am 14. August geht es durch Friesdorf, Treffpunkt ist der Klufterplatz. Muffendorf ist am 21. August dran, Treffpunkt ist der Remi-Baert-Platz vor der Kommende. Der letzte Rundgang ist am 28. August durch Plittersdorf, Treffpunkt ist Schloss Carstanjen am Rheinufer. sts