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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Der Herr Doktor und seine 5000 Hühner

Ab 1905 machte Rudolf Schorlemmer Godesberg als Chef eines großen Sanatoriums bekannt und versuchte sich als Besitzer einer Geflügelfarm

(25. März 2024, General-Anzeiger)

Von Ebba Hagenberg-Miliu

Bad Godesberg/Wachtberg · Den Godesberg-Kennern ist er ein Begriff, der Arzt Rudolf Schorlemmer (1874-1936). Verhalf er doch der einst selbstständigen Stadt durch seine stattliche Sanatoriumszeile an der Rheinallee gut zwei Jahrzehnte lang zu internationalem Ruf. Aber dass der renommierte Spezialist für Magen- und Darmkrankheiten parallel dazu eine riesige Geflügelfarm im heutigen Wachtberg betrieb, das dürften die meisten dann doch für einen Witz halten. Ist es aber nicht, wie Bernd Birkholz für die kommende Ausgabe der Godesberger „Heimatblätter“ recherchiert hat. Denn während Schorlemmer in der Kurstadt Jahr für Jahr mehr zahlungskräftige Erkrankte aus aller Welt in seinen exquisiten Häusern behandelte, versuchte er sich nebenbei auf dem Pecher Huppenberg als Herr über Legehühner, Enten, Karpfen und Forellen.

Der Mediziner, der auf dem erhaltenen Portraitfoto 1930 als leicht korpulenter älterer Herr so bärbeißig in die Kamera blickt, hatte im selben Jahr zum 25-Jährigen seines Sanatoriums in den Augen der Presse den Zenit seines Schaffens erreicht. Seine „Spezialanstalt für Erkrankungen der Speiseröhre, des Magens und Darms, der Leber und Gallenwege, der Bauchspeicheldrüse, des Herzens und der Nieren, für Zucker- und Gichtkranke, Blutarme sowie Rekonvaleszenten“ schien immer weiter zu wachsen. Sie hatte ihre Kapazität von 1905 gerade mal 15 Betten auf zum Silberjubiläum 75 Patientenplätze vergrößert.

Ehefrau Clara Esser hatte viele Immobilien im Villenviertel

Als Keimzelle hatte 1905, so Birkholz, der Komplex Rheinallee 37 an der Einmündung der Uhlandstraße, wo heute die IMC Kliniken Köln arbeiten, gedient. Dann gewann Schorlemmer auch die heutigen Häuser Rheinallee 41 bis 41c, 43 und das Doppelhaus Herderstraße 21 und 25 mit den jeweiligen Gärten hinzu. Wobei dem aus Berlin Zugezogenen sicher half, mit Clara Esser eine Einheimische mit üppigem Immobilienerbe im neuen Villenviertel geehelicht zu haben. Auch der Familienwohnsitz in der Rheinallee 24 mit dem „herrschaftlichen Haushalt“ gehörte dazu. (Später wurde es Kanzlei der pakistanischen Botschaft, heute Bürogebäude.) Da schien es finanziell für Schorlemmer kein Problem zu sein, sich ab 1928 bei der Wiesenau in Pech, also an der Ortsgrenze zu Godesberg, ein Landgut mit „im Schweizer Stil“ gebauter Villa zuzulegen.

Hühnerbetriebe boomten Ende der 1920er Jahre, hat Birkholz herausgefunden: „In allen Teilen Deutschlands, besonders aber in der Rheinprovinz, werden augenblicklich neue Geflügelfarmen errichtet“, hatte 1928 der GA berichtet. Auf dem Pecher Huppenberg, auf kultiviertem Ödland und vormaligem Wald, versuchte der bekannte Arzt also sein Glück mit einer Hühner- und Entenfarm. Um die ließ er Dorfhäuser für die Angestellten und etwas abseits große Forellenweiher gruppieren. Zehn Aufzuchthäuser, zehn große Kolonie- und zehn Legehallen wurden für das Geflügel gebaut. Stallungen für Pferde und Remisen für die Wagen, Gewächs- und Treibhäuser für den Gemüseanbau kamen bei dieser als „Musteranlage“ gehandelten Farm hinzu.

1929 ließ Schorlemmer zeitweise 5000 Legehühner, 1800 Enten sowie ungezählte Karpfen und Forellen als seinen Besitz verzeichnen. Wenngleich die Zahl der Tiere bald darauf zu sinken schien, bescheinigten Experten dem Betrieb, dass er „bei rationeller Haltung mit einem Jahresverdienst von fünf Mark pro Huhn zu rechnen“ habe. Auch Schorlemmers Investition im heutigen Wachtberg schien also von Erfolg gekrönt zu sein. 1929 war zu seinem Vorteil das Netz der Wasserleitungen zu den umliegenden Dörfern erweitert worden. Das Elektrizitätsnetz von Pech erhielt zudem eine neue Umlegung. Da konnten der Geflügelfarm offensichtlich auch Zwischenfälle wie 1929 der Dammbruch bei einem Fischteich wegen anhaltender Niederschläge, 1931 die wohl von Neidern angezettelte Sprengung einer Staumauer mit Dynamit sowie 1931 ein Waldbrand nahe der Farm nichts anhaben.

Doch, und das dürfte Kenner der Region wiederum verwundern, Heimatforscher Birkholz hat herausgefunden, dass der offensichtliche Erfolgsmensch Rudolf Schorlemmer seine beiden Großprojekte am Lebensende noch an die Wand fuhr. 1933 seien die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise der Geflügelfarm sichtbar geworden: Im Sommer wurde ein Zwangsverwalter bestellt. Auch der zügige Eintritt des Herrn Doktor direkt nach der Machtergreifung der Nazis in ihre Partei konnte ihn nicht mehr vor der Eskalation retten. Zeitweise hätten die Nazis geplant, in der Farm ein „Arbeitsdienstlager“ einzurichten, so Birkholz. Wozu es aber nie kam.

Privatkrankenhaus an der Rheinallee existierte bis 1972

Am 9. Februar 1936 starb Schorlemmer nach schwerer Krankheit. Schon fünf Monate danach wurde das Mobiliar seines Landguts verscherbelt. Dem Sanatorium an der Godesberger Rheinallee war es übrigens aus Sicht der Familie auch nicht viel besser ergangen. Noch kurz bevor der Chef starb, war aus dem Privatbesitz eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung geworden. Als „Schorlemmers Privatkrankenhaus“ existierte das ehemalige Sanatorium dann noch bis 1972. Da war die große Ära ihres bekannten Gründers in Bad Godesberg und Pech aber schon fast vierzig Jahre vorbei.

Gelände um die Villa – Was wurde aus der Hühnerfarm in Pech?

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg baute man die Hühnerställe zuerst für Geflüchtete um. „Wahrscheinlich sind heutzutage die L-förmigen, symmetrisch angeordneten Mehrfamilienhäuser mit den Adressen Huppenbergstraße 60 und 94 die letzten identifizierbaren Bauten der Schorlemmerschen Farm“, vermutet Bernd Birkholz. Zwischen beiden Gebäuden stand einst die Villa des Chefs. Das ehemals landwirtschaftlich genutzte Gelände rund um die Farm ist heute mit Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Villen bebaut. Die Fischteiche im oberen Tal des Milchpützbaches liegen auf Privatgrund. Der Beitrag von Bernd Birkholz erscheint in der kommenden Ausgabe der „Heimatblätter“ des Godesberger Heimat- und Geschichtsvereins. ham

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