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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Zwei überlebten in Bad Godesberg

Jüdische Verfolgte überstanden den Naziterror auf unterschiedliche Weise: Richard Schreiber und Hanny Hertz

(28. Dezember 2023, General-Anzeiger)

VON EBBA HAGENBERG-MILIU

BAD GODESBERG. | Auf dem blassen Schwarzweißfoto von 1944, das die Dolmetscherin Karin Wissmann besitzt, blickt eine hübsche, aber tieftraurige junge Frau den Betrachter an. Der Anflug eines Lächelns ist zu erahnen. Aber in den Augen dieser blondlockigen Frau scheint sich das unendliche Leid unzähliger Holocaust-Opfer zu spiegeln. Wissmann hat das Foto der Henriette, genannt Hanny Hertz, in den 1980er Jahren in Münster von Hertz selbst erhalten, als sie bei einem Schülerwettbewerb in ihrem Beitrag „Überleben in der Höhle des Löwen“ über das Schicksal eben dieser alten Dame schrieb. 1985 erschien der Beitrag im Band „Die Kriegsjahre in Deutschland“. Heute, sagt Wissmann, habe sie datenrechtlich keine Befugnis, das ergreifende Foto zur Veröffentlichung freizugeben.

Hanny Hertz (geboren 1913) ist eine der zwei jüdischen Mitbürger, die, während sämtliche Godesberger Leidensgenossen längst über die Gestapo-Sammelstelle Endenich in die Todeslager des Ostens verschleppt worden waren, bis Kriegsende 1945 dem Naziterror heimlich vor Ort standhielten. Das hat der Heimatforscher Erhard Stang vor Jahren für die Bonner Geschichtswerkstatt festgehalten. Auf der Flucht aus ihrer Heimatstadt Münster drohte Hertz 1942 zuerst, in Köln-Dellbrück aufzufliegen, weil die Gastgeber furchtbare Angst hatten, hat Wissmann 1982 erfahren. Im Sommer 1942 zog Hertz weiter nach Godesberg: unter dem falschem Namen „Hanne Halm“, denn sie habe sich ja an einen Strohhalm klammern müssen, wie sie später erläuterte. In einem spartanischen Mansardenzimmerchen „in einem mehrstöckigen Haus auf der Rüngsdorfer Straße“ überstand Hertz die drei Jahre bis 1945. Die Hausnummer ist nicht mehr zu ermitteln.

Der zweite jüdische Überlebende in Godesberg, der schon ältere promovierte Arzt Richard Schreiber, den die Nazis 1934 aus seiner Oberarztstelle in Ostpreußen entfernt hatten, versteckte sich ab dem 18. September 1944 in der Karl-Finkelnburg-Straße 4 unter dem Dach eines Gründerzeithauses, ohne von seiner nahen Leidensgenossin zu wissen. Die zwei hatten, das ergibt die weitere Recherche, während dieser brandgefährlichen Zeit den Feind sogar direkt unter ihrem Dach: Im Parterre des Hanny-Hertz-Hauses lebte die Vermieterin, die die junge Frau nach einiger Zeit als Illegale anzeigen sollte. Und, Ironie des Schicksals, im ersten Stock wohnte sogar noch die Ehefrau eines Nazi-Ortsgruppenleiters, der an der Front war.

Das Haus in der Finkelnburg-Straße wiederum, in dem sich Richard Schreiber à la Anne Frank auch tagsüber mucksmäuschenstill verhalten musste, gehörte den Schwestern Auguste und Katharina Böhm, einer pensionierten Konrektorin. Beide müssen sich über die Gefahr, in der der Verfolgte oben und auch sie schwebten, durchaus im Klaren gewesen sein. Denn es wohnte noch eine „enthusiastische Nationalsozialistin“ im Haus, die Schreiber sofort hätte abholen lassen, hätte sie das Versteck entdeckt. Das hat Jürgen Küpper für die Godesberger Heimatblätter recherchiert. Zudem befand sich schräg gegenüber auch noch das Ausweichquartier einer Gestapo-Dienststelle.

Überstanden haben die beiden vom KZ-Tod bedrohten jüdischen Mitbürger all diese Gefahren eigentlich nur, weil es unter den aufgehetzten Mitmenschen ein paar gab, die das Rückgrat und den Mut besaßen, ihnen zu helfen. Wie eben bei Richard Schreiber die Schwestern Böhm und, was Küpper ermittelt hat, dessen Godesberger Arztkollege Heinrich Meffert (1875-1945), dessen Frau und die Haushälterin. Der Chefarzt im St. Vinzenz-Sanatorium hatte Schreiber, als der deportiert werden sollte, die ungeheizte Dachkammer neben seinem eigenen Haus verschafft.

Lebensmittel schickte Schreibers nicht jüdische Ehefrau über die Haushälterin der Mefferts: Der filmreife Übergabeort der Handtaschen war die Frühmesse in der nahen Kirche Sankt Andreas. Ehefrau Paula hatte ihren Mann übrigens am Tag seines Verschwindens bei der Polizei als selbstmordgefährdet vermisst gemeldet – und Kleidung ans Rheinufer gelegt. Wobei alle Lebensretter, bis die Amerikaner Godesberg befreiten, sicher ein halbes Jahr lang ungeheure Ängste ausgestanden haben dürften.

Das wird auch im Fall Hanny Hertz so gewesen sein. Besorgt hatte die Kammer in der Rüngsdorfer Straße der Godesberger Privatgelehrte Erich Ackermann (1876-1959) aus der nahen Andreasstraße 2. Eine Tante Emmy aus der Region brachte die fürs Überleben nötigen Lebensmittelkarten vorbei. Die 29-jährige „Hanne Halm“ entschied sich jedoch 1942 anders als ihr Leidensgenosse in der Karl-Finkelburg-Straße: Sie sah es als gefährlicher an, sich als junge Frau wie Anne Frank zu verstecken. So fuhr sie mit der Rheinuferbahn täglich nach Bonn und arbeitete illegal in einem Atelier für Kinderbekleidung. Die Chefin sparte hübsch Steuern. „Aber sie wusste nicht, wer ich wirklich war“, blickte Hertz 1982 zurück. Nur di e Ackermanns waren informiert.

„Ich fürchtete ständig, entdeckt zu werden. Aber ich dachte, dass man in der Höhle des Löwen am sichersten sei, wenn man nicht auffallen wollte“, sagte Hertz später. An Papieren hätte sie nur ihre gefälschte Straßenbahnkarte vorzeigen können. Und so besaß sie sogar den Todesmut, mit einem SS-Mann in Adolf Hitlers Lieblingshotel, dem Dreesen, auszugehen. Um den jungen Nazi in dem Moment, als sie wirklich von ihrer Wirtin als Illegale angezeigt wurde, sofort zu erpressen, ihr falsche Papiere zu besorgen. Denn er habe sich ja, Stichwort Rassenschande, mit einer Jüdin sehen lassen.

Als total gütig und tolerant hat die Schülerin Karin Wissmann übrigens 1982 die alte Frau Hertz erlebt, die nach 1945 in die USA ausgereist, aber schon nach einem Jahr nach Deutschland zurückgekehrt war. Kaum zu fassen, dass dieselbe Frau mit den auf dem Foto von 1944 so tieftraurigen Augen im Godesberg der letzten drei Nazijahre wie eine Löwin um ihr Leben gekämpft hatte. Der Arzt Richard Schreiber wiederum sollte nach seiner traumatischen Zeit in der kalten Mansarde noch zehn Jahre mit seiner Frau im Haus Rolandstraße 40 leben können.

Der beiden Verfolgten und ihrer Lebensretter gedacht wird in Bad Godesberg bislang an keiner Stelle.

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