Wappen von Bad Godesberg
VHH
Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Mitten in die Klufterstraße

Vor 80 Jahren starben bei der ersten Bombennacht Friesdorfs im Zweiten Weltkrieg 27 Menschen. Jetzt gibt es neue Recherchen

(17. April 2023, General-Anzeiger)

VON EBBA HAGENBERG-MILIU

FRIESDORF. | „In der Nacht zum 17. April 1943 fällt eine schwere Bombe mitten in die Häuser der Klufterstraße.“ – So beginnt das damalige Kirchenbuch von St. Servatius seinen Bericht über die erste Bombennacht Friesdorfs im Zweiten Weltkrieg, wie Heimatforscher Andreas Giersberg belegt. Die Bewohner der getroffenen Häuser seien nicht in den Luftschutzräumen gewesen, schrieb der Chronist 1943 weiter. Offenbar schliefen sie ahnungslos, ohne dass Fliegeralarm sie geweckt hätte.

„Ich habe die Bombe als Elfjähriger vom Fenster unseres Hauses in der Annaberger Straße aus explodieren gesehen“, berichtet der Zeitzeuge Karl Josef Schwalb dem GA. Rund 500 Meter war er damals von der sofort brennenden Klufterstraße entfernt. Er habe einen leichten Schlaf und sei nachts vom Motorengeräusch des tieffliegenden Bombers geweckt worden. „Ich sehe die sprühende Fontäne der Bombe bis heute vor mir“, sagt der 91-Jährige schaudernd. „Die Luft fühlte sich danach an wie Nebel.“

Laut Godesberger Feuerwehrbuch waren zwar alsbald 77 Mann im Löscheinsatz, doch „26 Tote und ebenso viele Verletzte sind die Opfer. 16 Häuser sind fast völlig zerstört, viele andere stark beschädigt“, steht im Kirchenbuch. Zeitzeuge Schwalb komplettiert: „Es waren 27 Tote. Auch der Schreinermeister Anton Poppelreuter und damit die ganze Familie meines Schulfreundes Josef starb. Er stand nicht auf der Liste.“

Die Bleiverglasung aus den Fenstern geschleudert

In St. Servatius wurde von der Wucht der Bombe die Bleiverglasung aus den Fenstern geschleudert. Einträge wie „ein entsetzlicher Anblick der Zerstörung“, hat Holger Liczner im Archiv des verstorbenen Heimatforschers Ewald May gefunden. Die ganze Nacht über hätten Freiwillige mit einfachem Werkzeug aus dem riesigen Trümmerfeld Tote und Verletzte geborgen. Andere reichten den Helfern heißen Tee. Der Krieg sei eben härter und grausamer geworden, stellte das Kirchenbuch 1943 fest. Auch Friesdorf werde nicht verschont.

Im Internetportal Rheinische Geschichte ordnet der Historiker Helmut Vogt die Ereignisse ein. Denn warum hatte sich niemand im Keller geschützt? Die Menschen im Bonner Raum hätten sich bis 1944 in relativer Sicherheit gefühlt, schreibt Vogt. Die Luftangriffe der britischen Royal Airforce hätten sich auf Köln, die Rüstungsschmiede Essen und Eisenbahnverbindungen konzentriert.

Im Bonner Raum seien nur vereinzelt Personen gestorben. Der erste große Bombentag für Bonn sollte erst am 18. Oktober 1944 kommen. Ab März 1943 hatten die Nachtangriffe der Briten auf das Ruhrgebiet Bonn und Godesberg nicht betroffen – bis eben in der Klufterstraße am 17. April 1943 die Luftmine explodierte.

Unter den 27 Getöteten waren ganze Familienverbände. Allein elf Opfer stammten von den Fandels und Kriegers. In ihrer Traueranzeige werden auch die siebenjährige Antonie und die dreijährige Jutta beklagt. „Durch ein tragisches Unglück wurden sie uns entrissen.“ Maria Nothbaum, 28, wird in einer anderen Anzeige vom Witwer betrauert: „Der Herr über Leben und Tod nahm sie mir auf tragische Weise.“ Da hörten sich die Kommentare der lokalen Nazi-Größen ganz anders an. Deren Gauleiter Josef Grohé kondolierte in den Zeitungen, die Friesdorfer seien „den britisch-amerikanischen Mordbrennern“ zum Opfer gefallen.

Godesbergs Nazi-Bürgermeister Heinrich Alef inszenierte eilends eine bombastische Trauerfeier in einer separaten Ecke des Friedhofs an der Annaberger Straße. Fotos zeigen, wie alle Särge mit riesigen Hakenkreuz-Fahnen bedeckt sind. Dahinter reihen sich Uniformierte – ein Spektakel. Geistliche sind nur am Rande zu sehen. Im Zentrum hebt Alef am Hakenkreuz-Pult zur Hassrede an: „Dunkle Kräfte einer jüdisch-plutokratischen Schicht, die nicht haben will, dass Deutschland in Frieden sein Brot verdienen kann“, hätten die Bombe geworfen, ruft er, wie es Helmut Vogt notiert hat. „Sie starben im Kampf um Deutschlands Freiheit“, endete Alef, wie es Giersbergs gleichnamiger Vater verzeichnete. Kein Wort sagte der Bürgermeister in seiner Trauer um „Deutschland in Frieden“ über die 50.000 britischen Zivilisten, die die deutsche Wehrmacht seit 1940 bei ihren Luftangriffen auf Wohngebiete in London oder Coventry tötete, so die Zählung von Arnulf Scriba für das Deutsche Historische Museum Berlin.

Andreas Giersberg lässt das Schicksal der Friesdorfer Opfer auch heute nicht los. Er hat sich auf die Suche nach dem Bomber und den Gründen für den Abwurf gemacht – und ist bei einer britischen Lancester W.4783(G) mit siebenköpfiger Crew unter J.N. Murray gelandet. Sie habe sich in der besagten Nacht auf dem Rückflug von einem großen Bombenangriff auf das Skoda-Werk im tschechischen Pilsen befunden. Dort habe sie aber eine Bombe nicht abwerfen können, hält das Bordbuch fest. Der Angriff der Briten auf Pilsen vom 16. April 1943 war insgesamt schlecht navigiert, bestätigt das Internetportal lovecpokladu.cz.

Murray und seine Crew hätten die letzte Bombe auf dem Rückflug loswerden müssen, um wieder sicher landen zu können, sagt das Bordbuch. Aus 6.000 Fuß Höhe sei man sie also um 2.35 Uhr über dem Rheintal losgeworden. Auf einem historischen Foto der Crew steht handschriftlich: „Unfähig, das Ziel in Pilsen zu lokalisieren. Auf dem Rückweg Koblenz gebombt.“ Das Bordbuch selbst bleibt vage: „Das Flugzeug attackierte, wie es glaubte, Koblenz“. In Wirklichkeit wurden die schlafenden Friesdorfer getroffen, lautet Giersbergs These.

Auch Andreas Lemm vom Ortsausschuss tippt auf einen damaligen „Blindgänger auf Friesdorf. Ziel der Briten war doch wohl kaum die Klufterstraße im hiesigen kleinen Stadtteil.“ Zeitzeuge Schwalb wiederum stützt die These, dass damals ein britisches Flugzeug einen Motorschaden erlitt und im Kottenforst notlanden musste. Man habe sich erzählt, dass der Pilot absprang und danach im Krankenhaus mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, warum er die Bombe über einem Wohngebiet abwarf. „Man müsste alles nochmal genau untersuchen.“ Ein gezielter Bombenangriff auf Friesdorf habe aber sicher nicht stattgefunden.

Bei den damals Überlebenden seien auf jeden Fall über Jahrzehnte Ängste geblieben, die der aktuelle Krieg „vor unserer Haustür“ wieder wecke, weiß Lemm. Zeitzeuge Schwalb bestätigt: „Ich kann bis heute kein Feuerwerk aushalten.“

GEDENKFEIER – 1943 Häuser „weggefegt“

Der Zeitzeuge Franz van der Kamp war 2004 beim damaligen Gedenken der Friesdorfer an ihre Bombennacht dabei. In der evangelischen Pauluskirche erinnerte er sich, wie 1943 Häuser vom Druck der Bombe weggefegt, ganze Häuserzeilen wie Kartenhäuser zusammengefallen sowie die Dächer der übrigen Bauten abgedeckt wurden. Die Gefühle, Ängste und Irritationen, die ihn seither belasteten, kämen immer wieder hoch, berichtete er dem GA 2004. ham

Menü