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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Manchmal „deutscher als die Deutschen“

Als Gastarbeiter kam Milos Todorov aus dem damaligen Jugoslawien nach Bad Godesberg. Hier fand er auch sein privates Glück

(18. März 2023, General-Anzeiger)

VON EBBA HAGENBERG-MILIU

BAD GODESBERG. |An welchem Ort in Bad Godesberg will Milos Todorov am liebsten fotografiert werden? „Am Theaterplatz“, antwortet der Mann aus Nordmazedonien sofort. Hier habe er die Entwicklung des Stadtbezirks in den vergangenen gut 50 Jahren am besten beobachten können. „Als ich ankam, gab es in der Altstadt noch kleine Häuser“, erzählt der heutige Rentner. Dann sei Schritt für Schritt eine neue Innenstadt entstanden. „Ich liebe Bad Godesberg auch so, wie es heute ist“, sagt der Mann, der 1970 als gelernter Dreher und Kraftfahrer aus dem damaligen Jugoslawien an den Rhein wechselte.

Damals sei das für die Fahrt von Skopje nach Godesberg bestimmte Huhn bereits in München, dem Umsteigebahnhof, verzehrt gewesen, erzählt Todorov der Vorsitzenden des Godesberger Heimat- und Geschichtsvereins, Iris Henseler-Unger, die mit ihm zum Fototermin gekommen ist. Bei seinem ersten Arbeitgeber habe er sich mithilfe eines Vorschusses gleich wärmere Kleidung bei Woolworth gekauft. „Ich hatte nur Sommersachen mit“, erinnert sich der 72-Jährige lachend.

Henseler-Unger hat für die gerade erschienene Ausgabe der Godesberger Heimatblätter einen ganz anderen Blick auf den Stadtbezirk geworfen: Sie hat sich auf die Suche nach Zeitzeugen unter den Godesbergern gemacht, die aus dem Ausland kamen und dazu beitrugen, Bad Godesberg in mehreren Jahrzehnten zu einem Industriestandort zu machen. „Es ging mir um die sogenannten Gastarbeiter, die auch das aktuelle Bild Bad Godesbergs in vielen Bereichen mitprägen“, sagt Henseler-Unger. Exemplarisch hat sie mit Milos Todorov sowie mit einigen Kollegen aus der Türkei und Tunesien gesprochen.

Man habe Arbeitskräfte gerufen, und es seien Menschen gekommen, zitiert Henseler-Unger, was der Schriftsteller Max Frisch über italienische Gastarbeiter in der Schweiz formulierte. Durch Anwerbeabkommen habe auch die Bundesrepublik Deutschland insbesondere für Arbeitsplätze, die Deutsche als unattraktiv und zu wenig bezahlt ansahen, neue Bürger ins Land und eben auch nach Bad Godesberg geholt. Wie viele es hier genau waren, sei – gerade weil der Diplomatenstadtteil kontinuierlich Zuzug hatte –, nicht zu ermitteln gewesen. Auf jeden Fall seien zahlreiche Arbeitskräfte aus Italien, Marokko, Portugal, Spanien, Tunesien und der Türkei eingereist. Auch wenn die meisten anfangs fest entschlossen gewesen seien, im Alter in ihr Ursprungsland zurückzukehren, habe das dann nur ein Teil von ihnen verwirklicht, so Henseler-Unger.

Milos Todorov hatte sich auf jeden Fall Anfang der 1970er Jahre schnell eingelebt, auch wenn er zuerst mit Kollegen in einer Baracke leben musste, erzählt er. „Ich hatte nie Schwierigkeiten“, betont der Mann, der sich Deutsch bei der Arbeit und am Feierabend selbst beibringen musste. „Ich hatte schnell Freunde aus allen Ländern und bald auch deutsche Freunde.“

In Diskotheken, die er gerne besucht habe, sei er immer hineingelassen worden. Dann habe er mit einer Godesbergerin eine Familie gegründet. „Wohin die Liebe halt fällt“, sagt er und lacht herzlich. Sie hätten ein Haus gebaut und zwei Töchter bekommen, auf die er mächtig stolz sei, berichtet Todorov. „Eine hat Management studiert, die andere Diplompädagogik. Und drei Enkel haben wir auch.“ Er habe einfach ein glückliches Leben.

Todorov war bis zum Berufsende bei der Firma Ringsdorff beziehungsweise deren Nachfolgerinnen als Dreher in der Qualitätskontrolle beschäftigt. Freudig zeigt er Fotos, die ihn vor Ort zeigen. Auch ein Bild ist dabei, auf dem er neben einem Besucher, dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, steht. Todorov hat sich an seiner Arbeitsstelle besonders engagiert. Er hat, auch weil er eine ganze Reihe Sprachen beherrscht, Kollegen zur Seite gestanden. Er war 15 Jahre lang Vertrauensmann im Unternehmen. „Es war eine gute Zeit“, sagt der 72-Jährige.

So positiv wie bei Milos Todorov sind natürlich nicht alle Lebensberichte erster Godesberger Gastarbeiter aus der Recherche von Iris Henseler-Unger. Allen Gesprächspartnern gemeinsam sei aber, dass sie mit Fleiß arbeiteten, um das Leben ihrer Familien zu finanzieren und um sich etwas leisten zu können, sagt die Vorsitzende des Heimatvereins. Die Kinder der Befragten, sofern sie hier lebten, hätten einen soliden Start ins Leben geschafft und arbeiteten heute in Berufen, die für ihre Eltern damals, erst recht in ihren Heimatländern, nicht erreichbar gewesen wären.

Ihre Perspektive auf Bad Godesberg unterscheide sich natürlich in vielem von der der hier Geborenen, zumal wenn es um die Ausübung ihrer Religion gehe, meint Henseler-Unger, selbst geborene Friesdorferin. „Doch manche Einstellung ist überraschend ähnlich. Irgendwie sind sie alle Rheinländer und Godesberger geworden.“ Was Milos Todorov bestätigt. „Wissen Sie was,“ sagt er schmunzelnd, „ich bin inzwischen manchmal deutscher als die Deutschen.“

Der Beitrag von Iris Henseler-Unger ist in den Godesberger Heimatblättern, Band 60, erschienen. Für 15 Euro ist das Buch erhältlich in der Vereinsgeschäftsstelle, Augustastraße 83, dienstags von 15 bis 18 Uhr, beim Stadtmarketing, Ria-Maternus-Platz 1, oder im SWB Kundencenter, Alte Bahnhofstraße 22a.

ANWERBEABKOMMEN – So kamen die ersten Gastarbeiter

Das erste Anwerbeabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit einem Gastarbeiterland wurde 1955 mit Italien geschlossen. Es folgten 1960 Spanien sowie Griechenland, 1961 die Türkei, 1963 Marokko, 1964 Portugal, 1965 Tunesien und 1968 das damalige Jugoslawien. Letzteres ermöglichte einen zeitlich unbefristeten Aufenthalt, während insbesondere in denjenigen für die Türkei oder Tunesien zunächst nur eine Aufenthaltsdauer von zwei Jahren ohne Verlängerungsmöglichkeit vorgesehen war, so Iris Henseler-Unger. Das Zuwanderungsgesetz von 2005 bot dann eine modernere Nachfolgeregung. ham

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