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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Vom Hoffnungsträger zum Hinterbänkler

GA-SERIE: GESCHICHTEN AM GRAB Auf dem Bad Godesberger Burgfriedhof ist in einem Ehrengrab der einstige Vizekanzler Erich Mende beerdigt. Die Medien nannten den FDP-Politiker „schönen Erich“

(3. Januar 2023, General-Anzeiger)

Von Ebba Hagenberg-Miliu

BAD GODESBERG. „Und hier liegt Erich Mende“, sagt Martin Ammermüller und zeigt auf ein mit Stiefmütterchen bepflanztes städtisches Ehrengrab auf dem Burgfriedhof. Der ehemalige Vorsitzende des Godesberger Heimatvereins ist der beste Lotse über den historischen Gottesacker. Im Grab mit dem roten Stein unter goldenem Kreuz haben der ehemalige Bundesminister, Vizekanzler und langjährige FDP-Vorsitzende Erich Mende (1916-1998) und seine Frau Margot (1921-2019) ihre letzte Ruhe gefunden. Mende war besonders in den 1960er Jahren im Gegensatz zum liberalen Flügel der FDP einer jener erzkonservativen Vertreter seiner Partei: schneidig, gutaussehend und immer top gekleidet“, erinnert sich Ammermüller.

Schwierige Zeiten nach dem Bruch der Koalition

Mit dem aus Schlesien stammenden promovierten Juristen Mende habe ab den 1950er Jahren im Hauptstadt-Bonn einer der ehrgeizigen Vertreter der Frontgeneration des Zweiten Weltkriegs mitgemischt, schrieb der Spiegel rückblickend 2007. Mende war Major gewesen und pflegte auf Bonner Empfängen immer noch gerne sein Ritterkreuz zu tragen. Als FDP-Fraktionschef sei Mende schließlich der Mann gewesen, der die Liberalen im Herbst der Ära Konrad Adenauers zielstrebig wieder zurück ins bürgerliche Regierungslager führte. Dabei hatte der forsche Nationalliberale die CDU mit dem Spruch „Keine Koalition unter Adenauer“ provoziert und der FDP bei der Bundestagswahl 1961 mit 12,8 Prozent einen Höhenflug verschafft – um danach dann doch wieder in Koalitionsverhandlungen mit „dem Alten“ einzusteigen. Dieser „Umfall“ habe der FDP sehr lange angehangen, soll der FDP-Kollege Gerhard Baum später geurteilt haben.

Mende persönlich hielt übrigens Wort und trat erst 1963 nach dem Abgang Adenauers unter Ludwig Erhard als Minister für innerdeutsche Fragen in die Regierung ein. Bis 1966 konnte er hier Erfolge einfahren: Politische Häftlinge wurden von der DDR freigekauft. Und für die seit 1961 durch die DDR-Mauer vom Bundesgebiet getrennten West-Berliner gab es Passierscheine. Als 1966 die Regierungskoalition zerbrach, kamen schwierige Jahre auf den einstigen Hoffnungsträger zu. Innerparteilich musste er 1968 den Vorsitz an Walter Scheel abgeben. Vergeblich habe Mende sich gegen die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt (SPD) und die Ostverträge eingesetzt, blickte 2018 der WDR zurück. 1970 habe Mende dann die Seiten gewechselt und bis 1980 für die CDU im Bundestag gesessen – „allerdings als Hinterbänkler“.

Am Grab Mendes tauscht sich Martin Ammermüller inzwischen mit Iris Henseler-Unger aus. Seine Nachfolgerin im Leitungsamt des Heimatvereins erinnert sich, dass sich der ehemalige Major Mende auch noch viele Jahre nach Kriegsende stolz über die Wehrmacht geäußert habe. Alsbald beginnt hier auf dem Burgfriedhof eine Diskussion, inwieweit die Lebensleistung von Politikern aus heutiger Per­spektive überhaupt bewertet werden kann. „Mende war ein Mann der Widersprüche: national bis in die Knochen, aber flexibel im politischen Alltagsgeschäft“, urteilte die TAZ in ihrem Nachruf 1998.

Drüben, gar nicht weit von Mendes Grab, liege das des kantigen damaligen SPD-Konkurrenten Herbert Wehner (der GA berichtete), zeigt Ammermüller. Auch da könne man sich über den Wert der Politikerleistung trefflich streiten. Auf jeden Fall sei ihr noch der legendäre Spruch von Mendes temperamentvoller Gattin Margot im Gedächtnis, führt Henseler-Unger schmunzelnd hinzu. Der soll gelautet haben: „Aufstehen, Erich, Karriere machen!“

Dieses Zitat fällt auch einem Zeitgenossen des Politikers sofort ein: Jürgen Mersch­meier, einem erfahrenen Journalisten. In den goldenen Jahren Mendes, in den 1960er Jahren, war Merschmeier aktiv in der Jungen Union, später CDU-Sprecher von 1985 bis 1999. „Erich Mende hatte im politischen Alltag als ehemaliger Major immer ein zackiges Auftreten“, berichtet der Journalist. Außerdem sei nicht nur in den Boulevardmedien damals viel vom „schönen Erich“ die Rede gewesen. Seltsam, was manchmal von früherer Politprominenz im Gedächtnis bleibe, sagt Merschmeier lächelnd.

Ein Blick in die damalige Presse spiegelt ein wenig das Leben der Mendes in Schweinheim wider, von wo aus der vierfache Familienvater gerne mit seiner Schäferhündin in den Stadtwald zum Meditieren lief. Als ein Zeit-Reporter ihn 1973 in seinem Refugium, der Villa am Hang, besuchte, fand er den 57-Jährigen unter Eichen und Buchen höchst ausgeglichen vor. Wer in der politischen Arena stehe, müsse seine Reden selbst „ohne irgendeine Zubringerhilfe“ schaffen, zeigte sich Mende selbstbewusst. „Mir genügen fünf Stichworte, und ich kann 90 Minuten lang frei reden.“ Seine politische Begabung habe immer auf organisatorischem und rhetorischem Gebiet gelegen, bewertete Mende selbst seine Rolle in der Bundespolitik. „Und in meiner Ministerzeit entstanden die ersten menschlichen Erleichterungen und Annäherungen zwischen den Deutschen hüben und drüben.“

Die Serie
Geschichten am Grab

Zu Lebzeiten waren sie hochgeschätzt, ja verehrt, manche auch gefürchtet. Auf jeden Fall waren sie prominent. Sie lebten in Bad Godesberg und wurden hier öffentlichkeitswirksam bestattet. Doch wer kennt diese Personen heute noch? Wer erinnert sich an ihr hiesiges Leben? Und vor allem: Wie wird ihr Wirken heute gesehen? Wir laden ein zum Spaziergang auf lokalen Friedhöfen. Und zu Gräbern einer Reihe von Godesberger Promis. Bislang besuchten wir die letzten Ruhestätten von Herbert Wehner, Ulrich de Maizière und Rainer Barzel. ham

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