„Mutter Erde“ droht der Verfall
Das Jugendstil-Werk auf dem Burgfriedhof gehört zu den bedeutendsten Grabmälern im Rheinland
(30. Dezember 2022, General-Anzeiger)
VON EBBA HAGENBERG-MILIU
BAD GODESBERG. Unbewegt blickt „Mutter Erde“ vom Hang der Godesburg über den Burgfriedhof. Unter ihren ausgestreckten Armen birgt die gleichnamige Sandsteinfigur uns Menschen, die wir alle vom Leben in den Tod gehen werden. Der österreichische Bildhauer Adolf Simatschek hat das monumentale Wesen mit den lebensgroßen halbplastischen Sterbenden-Figuren unter seinem Mantel 1912 am Wehrturm der Burg auf das Grab des Godesberger Kaufmanns Hermann Dernen gesetzt.
In der Mitte wird ein sich umarmendes Paar, das an Auguste Rodins berühmten „Kuss“ erinnert, ins Jenseits gezogen. Linker Hand klammern sich Verzweifelte noch ans Vergnügen oder ans liebe Geld. Während rechter Hand die Alten sich tröstend gegenseitig leiten, aber zwei Kinder ihre sterbende Mutter nicht verlieren wollen. „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“, liest Martin Ammermüller, ehemaliger Vorsitzender des Godesberger Vereins für Heimatpflege und Heimatgeschichte, am Sockel des Werkes ein nicht gerade das Himmelreich verheißendes, dunkles Zitat aus dem Alten Testament.
Mischung aus Sphinx und Schutzmantelmadonna
Sieben Meter lang und vier Meter hoch reckt sich „Mutter Erde“, eine Mischung aus Sphinx und Schutzmantelmadonna, über das Grab, in dem seit 1915 Mitglieder der Besitzerfamilien Dernen und von Wittgenstein begraben liegen. Architektonisch und skulptural habe das Gesamtkunstwerk eine Bedeutung, die über den rheinischen Raum hinausgehe und mit Grabmälern auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise vergleichbar sei, hat die Kunsthistorikerin Ulrike Meyer-Woeller das Godesberger Grabmal 1999 klassifiziert. Ammermüller sieht das Jugendstil-Werk mit der barocken Michaelskapelle und dem orientalisch anmutenden Mausoleum Guier als einen der drei Höhepunkte des auch kunsthistorisch hochinteressanten Burgfriedhofs an. „Aber schauen Sie mal hier: Von der Oberfläche der Figuren fallen hier bei der „Mutter Erde“ immer mehr Sandsteinteile ab“, sagt Ammermüller. Er zeigt etwa an der Figurengruppe um die sterbende Kindsmutter auf abgeplatzte Flächen.
Empört reagiert er, als er Teile davon am Boden wiederfindet. Die Bewegungen der halbplastischen Figuren seien mit dem fortschreitenden Verfall schon jetzt gebrochen, klagt Ammermüller. Das im Rheinland einmalige Werk werde, wenn nicht Einhalt geboten werde, von Wind und Wetter Stück für Stück zerstört,
Um die Jahrtausendwende sei der Zustand schon einmal so beklagenswert gewesen, weiß der ehemalige Chef des Heimatvereins. Da habe der damalige Eigentümer Joachim von Wittgenstein das Denkmal mit einem städtischen Zuschuss umfangreich restaurieren lassen, erinnert sich Ammermüller. „Das muss jetzt unbedingt wieder geschehen“, stimmt ihm seine Nachfolgerin Iris Henseler-Unger zu.
Wie Ammermüller schon Jahre zuvor, hat auch sie sich seit 2019 mehrfach an die Stadt gewandt und um eine Sicherung und Rettung der „Mutter Erde“ gebeten. Bislang vergeblich. „Inzwischen ist der Verfall so weit fortgeschritten, dass wir vom Heimatverein von besorgten Bürgern kontaktiert werden“, sagt Henseler-Unger. Es sei zu befürchten, dass viele Schäden schon irreparabel seien.
Auf GA-Anfrage bei der Stadt sagt Markus Schmitz vom Presseamt, das Thema sei bei der Unteren Denkmalbehörde bekannt. Man habe das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland fachlich eingebunden. Eine Stellungnahme von dort liege seit Sommer 2022 vor. Auf Nachfrage, was dieses Gutachten denn ergeben habe, antwortet Schmitz, darin werde der Erhaltungszustand zum einen des Natursteins, also des Buntsandsteins, und zum anderen der Glasmosaike an den Seiten des Werkes beschrieben. Und es würden Empfehlungen zum weiteren Vorgehen gemacht: Notwendig seien etwa weitere Untersuchungen. Detailliert werde eine „Wintereinhausung“ des Monumentalwerkes vorgeschlagen. Ein generelles Wartungs- und Pflegekonzept sei erforderlich. Und das Gutachten habe „erste Hinweise zu notwendigen Restaurierungsschritten“ ergeben, so Schmitz für die Untere Denkmalbehörde.
Die Stadt habe jetzt Kontakt mit dem Nutzungsberechtigten der Grabstätte aufgenommen. Denn die Eigentümerschaft einer Grabstätte umfasse auch die Verpflichtung zum Erhalt, sagt Schmitz. Er glaube sich zu erinnern, dass die Restauration durch die Eigentümer und die Stadt Bonn im Jahr 2000 um die 20 000 Euro gekostet habe, meint Ammermüller. Inzwischen müsse man wohl an die 100 000 Euro in die Hand nehmen, vermutet er.
Der Heimatverein sei übrigens bereit, „die Renovierung über einen Spendenaufruf zu unterstützen, falls die finanziellen Möglichkeiten der Familie und die öffentlichen Gelder die Renovierungskosten nicht decken können“, erklärt nun seine Nachfolgerin Iris Henseler-Unger. Beim Verlassen des Friedhofs blickt sie noch einmal zurück zur sich so wunderbar in den Naturhang einfügenden „Mutter Erde“. Nach der GA-Anfrage bei der Stadt hat Henseler-Unger nun selbst Rückmeldung von der Denkmalpflege bekommen. „Es geht also voran.“
DER KÜNSTLER
Hermann Dernen war Auftraggeber
Adolf Simatschek (1874-1919) war ein österreichischer Jugendstil- Bildhauer, der hauptsächlich von Düsseldorf aus im Bereich Bauplastik tätig war. Der Auftraggeber für seine „Mutter Erde“ von 1905 war der Godesberger Kaufmann Hermann Dernen, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Plittersdorfer Turmhof, die spätere Apostolische Nuntiatur des Heiligen Stuhls in Deutschland, besaß. Dernen, laut seinem Personal „ein wohlwollender und edelgesinnter Vorgesetzter“, starb 1915 und wurde per Urne unter der „Mutter Erde“ beigesetzt. ham