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VHH
Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Ein Mann fürs Grobe mit viel Feingefühl

Der Schlosser Mathias Natius gilt als Godesberger Original. Dank seiner Prothese trug er den Beinamen „Rheinischer Götz“

(17. Mai 2021 General-Anzeiger Bonn)

VON SILKE ELBERN
BAD GODESBERG. Wer mit 18 Jahren als Handwerker bei einer Schlägerei seine linke Hand verliert, kann in Existenznot geraten. Erst recht 1878, als von Berufsunfähigkeitsversicherungen im Deutschen Reich noch nicht die Rede war. Nicht so jedoch Mathias Natius, der mit jenem Tag anfing, sich den Status eines Godesberger Originals zu erarbeiten.

Bernd Birkholz hat jenem Mann nun mit einem Aufsatz in den Godesberger Heimatblättern ein kleines Denkmal gesetzt. „Er war zwar  schon häufiger Thema bei uns, aber bislang ging es nie um seine Persönlichkeit, die viele Facetten hat“, so der Vize-Vorsitzende des Vereins für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg (VHH). Auf den Schlosser Natius war Birkholz eher durch Zufall gestoßen. „In einem alten Zeitungsbericht über Kriegslazarette in Bad Godesberg war erwähnt, dass er auf die Bühne gestellt worden war , erzählt der 67-Jährige. Sofort War die Frage nach dem „Warum?“ da.

Dıe lässt sich nicht mit einem Satz beantworten, beginnt aber damit, dass der Jüngling nach dem Schicksalsschlag nicht den Kopf in den Sand steckte, sondern sich aus Eisen und Leder eine Unterarm-Prothese herstellte. „Sie war drei Pfund schwer und hatte am vorderen Ende eine starke Öse“, hat Birkholz herausgefunden. Als Gegenstücke brachte Natius an all seinen Werkzeugen am oberen Ende ebenfalls Haken und Ösen an, so dass er die Prothese einklinken konnte.

„Dieser Einfallsreichtum hat ihm schnell den Beinamen ,Rheinischer Götz‘ eingebracht“, sagt der Heimatforscher. Denn auch Reichsritter Götz von Berlichingen hatte im Kampf 1504 eine Hand, allerdings die rechte, verloren. Er hatte sich eine Prothese bauen lassen, die aber im Vergleich, zu der des Godesbergers dank beweglicher Finger feingliedriger ausgefallen sei. Auf Natius‘ Werk will Birkholz trotzdem nichts kommen lassen: „Seine Konstruktion war robust und für seıne Anwendungen zweckmäßig.“

An Aufgaben mangelte es dem gelernten Schmied und Schlosser nicht: So listet der Aufsatz als weitere Tätigkeiten Landwirt, Althändler und Ausschachter auf. „Bei Letzterem kam es auf Kraft an und davon hatte Natius viel“, so der Autor. 20 Meter habe er pro Tag geschafft und pro laufendem Meter 50 Pfennig erhalten. Seine körperliche Kraft habe der Mann, der anders als oft dargestellt kein Hüne gewesen sei, werbewirksam eingesetzt. „Vor seinem Haus an der heutigen Villichgasse lagen Steine mit Griffen bereit, und mit vorbeikommenden Passanten, meist Studenten, wettete er, dass sie diese nicht hochheben könnten“, führt Birkholz aus. Meist sollte er recht behalten.

Seine Leistungen habe er früh dokumentieren lassen. So ist überliefert, dass er mit der rechten Hand waagerecht ausgestreckt 50 Pfunde stemmen konnte und mit der Prothese immer noch 40 Pfund. „Der Umfang seines rechten Oberarms betrug im angespannten Zustand satte 43 Zentimeter“, betont der Autor. Der Handwerker war aber nicht nur der Mann fürs Grobe, sondern auch ein Familienmensch. Mit Ehefrau Gertrud hatte er drei Kinder, wovon eines früh starb. Er besaß viel Feingefühl und nahm an einem Wettbewerb teil, bei dem eine Postkarte eng beschrieben werden  sollte. „Mit etwa 1000 Worten hat er den zweiten Platz belegt“, ist Birkholz als alter Postkartensammler beındruckt.

Geschäftstüchtig wie Natius war, ließ er Postkarten von sich und seinen Leistungen anfertigen. Zudem von seinem Modell der Godesburg, das das Wahrzeichen um 1580 unzerstört zeigte. Der Erste Weltkrieg mit vielen versehrten deutschen Soldaten bescherte ihm dann nach 1914 eine weitere Karriere. Hier kommt die „Bühne“ ins Spiel, die Birkholz in der Zeitung entdeckt hatte. Das Wort „Kriegskrüppel“ etablierte sich, denn Invalide kosteten die Allgemeinheit nur. „Der armamputierte Natius wurde als leuchtendes Beispiel für den Umgang mit einer Behinderung auf die Bühnen gestellt“, sagt Birkholz. Professoren der Bonner Universität traten mit ihm auf, die amerikanische Anthropologin Ruth Underhill würdigte seine Prothese in den USA nach einem Vergleich als für Fabrikarbeiter am besten geeignet.

1922 starb der starke Mann mit 62 Jahren an einer Herzkrankheit. Begraben liegt er auf dem Burgfriedhof. Sein Lebensmotto ließ er auf den Grabstein meißeln „Durch Willenskraft überwand ich meines Schicksals Tücke.“

HEIMATBLÄTTER
Zwölf Autorinnen und Autoren mit dabei

Zwölf Autoren und Autorinnen haben an der 58. Ausgabe der Godesberger Heimatblätter mitgearbeitet, Bernd Birkholz ist einer von ihnen. Der gebürtige Godesberger (Jahrgang 1953) wohnt in Bonn und sammelt historische Postkarten. Infos zu den Heimatblättern gibt es unter vhh-badgodesberg.de.

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