Der Krisenmanager der Ringsdorff- Werke
Horst Heidermann erinnert in den „Heimatblättern“ an das Vorleben des langjährigen Firmenchefs Alexander Werth
(24. Februar 2016, General-Anzeiger Bonn )
VON EBBA HAGENBERG-MILIU
BAD GODESBERG. Nein, es war kein „Schnäppchen“, das Dr. Alexander Werth, der Syndikus der Ringsdorff-Werke, am 7. Juni 1951 übernahm. Überraschend war Eigentümer Hans Ringsdorff an den Folgen einer Operation gestorben. Und nun sollte der Herr Doktor und vormalige Diplomat, der im Jahr zuvor die Ringsdorff-Tochter Helge geheiratet hatte, auf dem Fabrikgelände nahe dem Mehlemer Bahnhof selbst Chef von 700 Angestellten werden.
„In Wirklichkeit hatte er eine Baustelle übernommen“, schreibt der Heimatforscher Horst Heidermann in seinem detaillierten Portrait des damals 42-Jährigen aus Berlin, der bis ein paar Jahre vor seinem Tod 1973 die Geschicke des Unternehmens bestimmen sollte. Der Neue hatte sich gerade erst in eine zuvor „kriegswichtige“ und schwer zerstörte Firma eingearbeitet, die nach dem Sieg der Alliierten unter Treuhandschaft gestanden hatte. Denn der Schwiegervater war ein überaus aktives NSDAP-Parteimitglied gewesen.
Wer war nun dieser ernste Jurist, der das Eigentum der Ringsdorffs fortan aus der Misere holen und international positionieren sowie schließlich in einen größeren Verbund überführen sollte? Heidermann enthüllt Erstaunliches: Der „Junge“, der 1948 an den Rhein gelangte, war alles andere als ein alter Nazi. In seinem 40-jährigen Vorleben steckten eigentlich gleich mehrere Leben, wovon Werth selbst aber offensichtlich in seinen Godesberger Jahren wenig Aufhebens machte. Der 1908 in Hamburg geborene Vizeadmiralssohn war in den brandgefährlichen Jahren des Nationalsozialismus einige Male nur haarscharf an der persönlichen Katastrophe vorbeigeschlittert. Durch die Aktivitäten des Stiefvaters und Bankiers Wilhelm Regendanz geriet Werth 1934 in der als Röhm-Putsch bekannt gewordenen Säuberungswelle in Haft. Während Rengendanz sich nach England retten konnte, steckte die Gestapo Werth, den ältesten Adoptivsohn, ins Klein-KZ Columbia-Haus in Berlin-Kreuzberg.
Zu seinem Glück verschaffte ihm der Stiefvater aber Monate später die Ausreise nach Großbritannien, wo Werth, inzwischen verheiratet und Vater von Kindern, als Unternehmensjurist Anstellung fand. Das nächste Mal stand sein Leben dann auf Messers Schneide, als er, seit 1938 unter Auflagen wieder in Deutschland, fürs Auswärtige Amt mit seinem Studienfreund Adam von Trott zu Solz zusammenarbeitete. Der gehörte nämlich zum engeren Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944.
Als der Umsturzversuch scheiterte, half Werth von Trott noch eilig bei der Vernichtung schriftlicher Unterlagen, so hat es der Heimatforscher ermittelt. Was von Trott nicht vor der Hinrichtung bewahrte: Er wurde vom Volksgerichtshof zu Tode verurteilt. Verwandtschaftliche Beziehungen im NS-Apparat sollen Alexander Werth davor gerettet haben, ebenfalls belangt zu werden. Außerdem war er 1943 vorsorglich NSDAP-Mitglied geworden.
Nichtsdestotrotz bezeugte die Witwe des Freundes, Clarita von Trott, 1946 urkundlich: „Herr Dr. Werth hat jahrelang unter Hintansetzung aller persönlichen Wünsche und unter großen Opfern die illegale Arbeit meines Mannes nach außen abgedeckt, ja durch seinen Einsatz in der sachlichen Arbeit überhaupt die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass mein Mann den Umsturzvorbereitungen so viel Zeit widmen konnte.“
Darüber hinaus habe Werth keine Gefahr gescheut, um weiteren verhafteten oder gefährdeten Freunden zu helfen. Was ihn jedoch nicht davor bewahrte, 1948 von den Russen ins ehemalige KZ Sachsenhausen gesteckt zu werden, das er erst dank einer General-Amnestie der Sowjets verlassen konnte. Verständlich, dass Alexander Werth das berufliche Angebot in Bad Godesberg als Chance ansah, sich nach den dunklen Jahren endlich ein neues Leben aufzubauen. In den Kriegswirren war auch seine erste Ehe gescheitert. Hier am Rhein wartete eine neue Liebe und eine riesige Aufgabe. Aber wie gesagt: Ein „Schnäppchen“ war es nicht, was sich Alexander Werth am 7. Juni 1951 da mit der Leitung der Ringsdorff-Werke einhandelte.
Die Ringsdorff-Werke
Vor 106 Jahren begann die spätere Ringsdorf Werke GmbH mit der Produktion von Graphitelementen. Der Werkstoff dient zur Herstellung hochfeuerfester und chemisch beständiger Laborgeräte, von Bleistiften und Elektroden, in der Zeit der Nationalsozialisten galten die Werke als kriegswichtiger Betrieb, der Kunst-, Beleuchtungs-, Scheinwerferkohle und Dichtungsmaterial erzeugte.
Heute arbeiten rund 650 Angestellte in zwei Werken direkt neben der Bahntrasse mit dem hitzebeständigen Graphit. Das Unternehmen produziert spezielle Heizvorrichtungen für die Halbleiterindustrie. Die Gründerfamilie gab ab den 1960er Jahren Anteile an Hoechst und Siemens. Anfang der 1990er Jahre wurde das Unternehmen mit einer US-Firma fusioniert und in SGL Carbon umbenannt.