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Verein für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg e.V.

Als in Godesberg Franzosen wachten

Heimatforscher Bernd Birkholz erinnert an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, zu der das Rheinland besetzt war

(28. April 2022, General-Anzeiger Bonn)

BAD GODESBERG. | Die Postkarte aus den 1920er Jahren zeigt doch wirklich mitten in der Koblenzer Straße ein Wachhäuschen für französische Soldaten. Und zwar zwischen den Hausnummern 38 bis 42, wo damals das Rathaus untergebracht war. Französische Rekruten patrouillierten also da, wo heute hinter der Bushaltstelle ein Eiscafé und ein Papierladen um Kunden werben. Und sie schickten Postkarten wie diese von der „Rue de Coblence“ an ihre Familien. Nach dem Massensterben des Ersten Weltkriegs und der Niederlage Deutschlands sollte Godesberg ab Februar 1920 von einem 1800-köpfigen Artillerie-Regiment in Schach gehalten werden. Denn das linksrheinische Gebiet wurde von den Franzosen bis zu ihrem Abzug 1926 aus Sicherheitsgründen als Pufferzone beansprucht. Zuvor waren kurzzeitig britische Truppen in der Stadt gewesen.

Schwere Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg

Es waren also „schwere Zeiten“, die auch die Godesberger seit Ende des Ersten Weltkriegs erlebten, erklärt der Heimatforscher Bernd Birkholz. Die desaströsen Kriegsjahre hatten die Uhren überall auf Null gestellt. Und das Rheinland hatte sieben harte Besatzungsjahre durchzustehen. Birkholz hat, wie berichtet, 2021 für die „Heimatblätter“ schon einen Blick hinter die Kulissen Godesbergs als wichtigen Lazarettstandort für verwundete Soldaten von 1914 bis 1918 geworfen. Nun schreibt er nach intensiver Recherche im Stadtarchiv die Historie der Badestadt weiter. Die betreffenden Dokumente seien meist nur handschriftlich vorrätig, berichtet er seufzend. Sie müssten sicher noch systematisch ausgewertet werden. Aber so viel sei klar: Die Godesberger hätten sich nach dem Weltkrieg unter den Besatzern mit dem Unvermeidlichen arrangiert. „Meist versuchten sie, mit rheinischer Gelassenheit das Beste aus der fremdbestimmten Situation zu machen.“

Birkholz schildert akribisch, vor welch riesigen Herausforderungen die damalige Verwaltung stand. Erst einmal waren 1800 Soldaten nebst Familien unterzubringen. Und das bei einer für die Bevölkerung und kriegsversehrte Heimkehrer ohnehin schmerzlichen Wohnungsnot. Bürgermeister Josef Zander musste zaubern. Birkholz listet die erstaunlichsten Übergangsquartiere in Privathäusern und Restaurants auf. Dann musste ein Terrain für eine Kaserne mit Exerzierplätzen her. Gegen die Proteste der Einwohner wurden dafür zwischen Goten- und Mittelstraße 115 Morgen Ackerland freigeräumt. Alsbald musste auch der Neubau von Offizierswohnungen beginnen. Wieder fiel die Wahl auf Plittersdorf. Birkholz öffnet die Augen dafür, wie zahlreiche heutige Wohnhäuser etwa an der Körner-, der Mittel-, der Wurzer- und der Gotenstraße für diese Zwecke entstanden.

Parallel musste man für die unter Arbeitslosigkeit, Hunger, Armut und steigender Kriminalität ächzenden Einheimischen sorgen. Die Verwaltung sei pausenlos auf Abwehr eingestellt gewesen, erinnerte sich der patente Bürgermeister später: auf Abwehr von Not, Bedrückung und wirtschaftlichen Nachteilen. Die Zeit habe er als „sieben Jahre schweren Seelendrucks und großer Drangsale“ empfunden, so Zander. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten für Kartoffeln über Butter bis zu Brot half, die Bürger überhaupt zu ernähren. Jeder musste Zugang zu den raren Brennstoffen erlangen, um nicht zu erfrieren. „Arbeitsnachweisstellen“ versuchten, so viele Godesberger wie möglich in Lohn und Brot zu bringen. Eine Sozialrentner-Fürsorge unterstützte Senioren selbst aus dem Villenviertel, die wegen der Inflation in Not waren. Das Bürgermeisteramt besorgte kinderreichen Familien Hilfen durch eine Notgemeinschafts-Initiative.

„Beindruckt hat mich, dass zahlreiche der stummen Zeugen der Nachkriegszeit bis heute in Bad Godesberg erhalten geblieben sind“, resümiert Birkholz. Und verweist auf weitere Verdienste des Zander-Teams: den Kauf und die Nutzung der Redoute als kulturelles Zentrum, die Anlage von Abwasserkanälen, Jugendherbergen, des Zentralfriedhofs und des heutigen Kurparks. Und nicht zuletzt verweist er auf den Kraftakt, durch Siedlungsgesellschaften in Mehlem, Friesdorf, Plittersdorf und Lannesdorf zwischen 1919 und 1925 auch über 250 neue Bürgerwohnungen geschaffen zu haben. 1925 erlaubte es die französische Besatzung den Godesbergern dann, am 20. und 21. Juni an der Rheinischen Jahrtausendfeier teilzunehmen. Birkholz berichtet von einem Wochenende exorbitanter Feierlichkeiten am Fluss, in der Redoute und im gesamten Stadtgebiet.

Die Franzosen verließen Godesberg frühzeitig

Was wohl nur noch von der Begeisterung getoppt wurde, als die Franzosen am 1. Februar 1926 frühzeitig Godesberg verließen. Die Glocken aller Kirchen läuteten. Die Schulkapellen schmetterten Jubellieder. Raketen und Leuchtkugeln stiegen ob der wieder erlangten Freiheit auf. Die Freude für Demokraten wie Bürgermeister Zander sollte jedoch nicht lange währen. Weitere sieben Jahre später sollte auch Godesberg unter Nazi-Herrschaft geraten und Zander sofort sein Amt verlieren. Man darf gespannt sein, ob Heimatforscher Birkholz die Godesberger Historie hier weiterschreibt.

Iris Henseler-Unger lobt als Vorsitzende, dass die „umfassend recherchierte und spannende Arbeit von Bernd Birkholz“ eine Lücke in der bisherigen Erforschung Godesberger Historie schließe. „Selbst Fotografien, die wegen der Besatzung besonderer Erlaubnis bedurften, spürt er auf.“ Natürlich seien die Jahre hart gewesen, was Inflation, Verpflegung und Unterkunft betraf. „Trotz aller Widrigkeiten gelang es allerdings, den Kurort voranzubringen.“ 1925 sei kurz vor Ende der Besatzung in Godesberg mit den Rheinischen Heimatspielen als Teil der Rheinischen Jahrtausendfeier ein Fest gefeiert worden, das vielleicht sogar das größte aller Zeiten in Bad Godesberg war. Alles das habe Birkholz bestens dokumentiert. Erschienen ist der Beitrag von Bernd Birkholz im März in den Heimatblättern des Godesberger Heimat- und Geschichtsvereins für 10 Euro. Sie sind erhältlich in der Vereinsgeschäftsstelle, Augustastr. 83, bei Stadtmarketing, Ria-Maternus-Platz 1, oder im SWB KundenCenter, Alte Bahnhofstr. 22 a.

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