Nostalgie führt die Feder
Michael Wenzels hadert in seinem Buch „Früher waren hier Botschaften“
mit der Gegenwart
(29. August 2019 General-Anzeiger Bonn)
VON HELGE MATTHIESEN
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war? Beim Lesen von Michael Wenzels Buch „Früher waren hier Botschaften“ fühlt man sich manchmal an diesen Spruch von Joachim Meyerhoff erinnert. Wenzel ist einer der vermutlich kenntnisreichsten Autoren, wenn es um die jüngste Bad Godesberger Geschichte geht, um Entwicklungen und Fehlentwicklungen. Auf 264 Seiten hat er sein Wissen zusammengestellt. Die Nostalgie führt ihm sehr oft die Feder, und eine Bad Godesberger Weltsicht allemal. 50 Jahre nach dem Verlust der Selbstständigkeit eine sehr lesenswerte Standortbestimmung.
Michael Wenzel ist Godesberger durch und durch. Sein Beruf ist es, Besucher zu den ehemaligen Botschaften, zu noch bestehenden Vertretungen zu führen und ihnen dabei die Geschichte dieses Ortes zu erzählen, der lange eine selbstständige Stadt war. Während Bonn, Beuel, der Hardtberg und die Städte rund um Bonn den Wegzug der Regierung und den damit verbundenen Strukturwandel gut verkraftet haben, hadert Bad Godesberg mit der Entwicklung. Hier fühlen sich viele als Verlierer und sehen ihren Ort im Niedergang begriffen. Wenzel macht deutlich, woran das liegt. Sein Thema sind die Botschaften, was aus ihnen wurde; außerdem die kommunalpolitischen Debatten der letzten Jahre mit ihren großen Projekten: von der Stadtsanierung, dem Tunnelbau oder der Ansiedlung des Kinopolis. Die Vergangenheit wird dabei idealisiert, denn an der Gegenwart gibt es viel auszusetzen.
Für Menschen, die ihre Jugend nicht zwischen Draitschquelle und Rhein verbracht haben, ist das bisweilen schwer zu verstehen: Andere Städte wären froh, wenn sie sich mit Dingen beschäftigen könnten, die man in Godesberg als Problem diskutiert. Medizintourismus zum Beispiel, der andernorts mit viel Aufwand und ohne vergleichbaren Erfolg beworben wird. Oder die Tatsache, dass die Stadt als gehobener Wohnort attraktiv ist, was Bautätigkeit zur Folge hat, die Flächen verbraucht und ehemalige Villengärten nutzt. Es wird kritisch über große Büroneubauten debattiert, obwohl es auch denkbar wäre, sich über neue Arbeitsplätze im Stadtbezirk zu freuen. Veränderungen sind normal und in keiner Stadt dieser Republik ohne Konflikte zu haben. Godesberg hätte es scheinbar manchmal gerne anders.
An vielen Punkten ist das Hadern mit der Gegenwart jedoch gut zu verstehen. Denn nirgendwo sonst mischte sich der ganz normale Strukturwandel – wie ihn auch Bad Honnef oder Bad Neuenahr erlebten und erlitten – zum Beispiel im Einzelhandel mit dem Wegzug wesentlicher Käufergruppen. Nirgendwo sonst existierte Multikulti einst auf einem derart hohen Niveau, das schroff von der Tristesse harter kultureller und sozialer Gegensätze abgelöst wurde.
Der Stadtbezirk verlor ein Stück weit seine Identität und sucht bis heute nach einem neuen Ziel. Dabei ist Godesberg ein Ort mit seltenen Potenzialen: Kompetenten, engagierten und einsatzfreudigen Bürgern, die ihre Angelegenheit mit Erfolg selbst in die Hand nehmen. Wenzel gehört dazu. Das gibt es in Bonn so und in dieser Dichte sonst nirgendwo wie hier. Man könnte darauf stolz sein, wenn man es denn wollte. Aber die positiven und konstruktiven Stimmen dringen leider nur schwer durch.
All das ist in all seinen Windungen, Irrungen und Erfolgen bei Michael Wenzel nachzulesen. Detailreich, mit historischem Tiefgang, gespickt mit klugen Beobachtungen schöpft Wenzel aus seinem reichen Archiv und vielen Jahren journalistischer Beobachtung. Vieles wird in der Rückschau erst verständlich. Für alle, die mehr über Bad Godesberg und seine Eigenheiten wissen wollen, die diesen Ort verstehen möchten, ist das Buch Pflichtlektüre.
> Früher waren hier Botschaften. Bad Godesberg 1949 – 2019. Spurensuche in einer kleinen Stadt von Welt, 15 Euro